Immer mehr Menschen entscheiden sich dafür, ihren Besitz radikal zu reduzieren. Sie erklären Minimalismus zu ihrem Lebensstil, der sich als Alternative zur konsumorientierten Überflussgesellschaft sieht. Möglicherweise denken Sie jetzt, dass Minimalisten nicht alle Tassen im Schrank haben? Ja, sie haben tatsächlich weniger Tassen im Schrank! Denn Minimalisten wollen den Alltagszwängen entkommen, um dadurch ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu führen.
Die Idee eines einfachen Lebens als Alternative zum Dauerkonsum ist in den vergangenen Jahren zu einem Trend geworden. Spätestens seit der erfolgreichen Fernsehserie „Aufräumen mit Marie Kondo“ ist der Wunsch nach mehr Klarheit im Leben auch bei Sammelfreudigen angekommen. Doch Minimalismus ist nicht nur ein Trend, sondern vielmehr ein achtsamer Lebensstil und eine Geisteshaltung. Mir geht es heute weniger um Materielles als um die Reduzierung von gedanklicher Überforderung. Denn diese Form der Überlastung sorgt für Unruhe, Ablenkung und das permanente Gefühl, allem hinterherzulaufen, statt auf dem Laufenden zu sein.
Freiraum im Kopf
Die Ursprünge des Minimalismus reichen bis in die Antike. Ungefähr 400 Jahre vor Christus lebte der Philosoph Diogenes von Sinope bewusst mit wenig Besitz. Alles, was er bei sich hatte, war ein Fass, in dem er schlief, einen Rucksack, einen Mantel und einen Stock. Auf die Frage von Alexander dem Großen, was er sich wünsche, sagte er lediglich: „Geh mir ein wenig aus der Sonne.“
Nein, um minimalistisch zu leben, ist es nicht zwingend notwendig, so viel materielle Dinge wie möglich loszuwerden. Vielmehr geht es darum, bewusst auf materielle Dinge zu verzichten, um Platz für das wirklich Notwendige zu schaffen. Martin Luther King empfahl zum Beispiel seinen Anhängern, im Falle ihrer Verhaftung immer eine Zahnbürste und eine Bibel dabeizuhaben. Was für den amerikanischen Bürgerrechtler eine sehr ernste Sache war, kennt man auch als humorvolles Gedankenspiel: Welche drei Dinge würde man auf eine einsame Insel mitnehmen? Denn im Überfluss der Dinge geht der Blick für das Wesentliche im Leben schnell verloren. Dazu passt folgende Weisheitsgeschichte:
Im vorigen Jahrhundert besuchte ein Tourist aus den Vereinigten Staaten den berühmten Rabbi Hofetz Chaim. Erstaunt sah er, dass der Rabbi nur in einem einfachen Zimmer voller Bücher wohnte. Das einzige Mobiliar waren ein Tisch und eine Bank. „Rabbi, wo sind Ihre Möbel?“, fragte der Tourist. „Wo sind Ihre?“, erwiderte Hofetz. „Meine? Aber ich bin nur zu Besuch hier. Ich bin nur auf der Durchreise.“, sagte der Amerikaner. „Genau wie ich“, sagte der Rabbi.
Ein Extrembeispiel? Na klar, doch gerade solche Texte helfen uns in ihrer Radikalität, aus gewohnten Denkmustern auszusteigen und einen bestimmten Aspekt unseres Lebens zu hinterfragen. Natürlich sind wir alle hier auf der Erde gewissermaßen „auf der Durchreise“. Dennoch versuchen wir, uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten mit allen möglichen „Möbeln“, die symbolisch für unseren materiellen Besitz und den Gedankenmüll im Kopf stehen.
Stellen Sie sich regelmäßig folgende Fragen:
1. Von welchem inneren und äußeren Ballast will ich mich befreien?
2. Was steht einem unbeschwerten und erfüllten Leben im Weg?
3. Wie können mentale Freiheit und Stabilität wachsen?
Glaube und Minimalismus
Für mich war Jesus ein Minimalist. In der Bergpredigt empfahl er seinen Nachfolgern einen Minimalismus an mentaler und materieller Sorge: „Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen sollt, und nicht um euren Leib, was ihr anziehen sollt. Ist nicht das Leben mehr als Nahrung und der Leib mehr als Kleidung? Seht euch die Raben an: Sie säen nicht und sie ernten nicht und sammeln in keine Scheunen, und Gott ernährt sie doch. Seid ihr nicht besser als die Vögel? Und wer von euch kann durch seine Sorge die Spanne seines Lebens verlängern? Und was sorgt ihr euch um Kleidung? Seht auf die Lilien, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht und sie spinnen nicht. Ich sage euch: Noch nicht einmal Salomo in all seiner Herrlichkeit war gekleidet wie eine von ihnen.“ (Lukas 12, 22-27).
In diesen Worten geht es um Leben. Es geht für Jesus darum, das Leben anzunehmen und die Sorge sein zu lassen. Jesus vermittelt, dass es sich besser lebt mit weniger Ballast, seelischem und materiellem. Ihm geht es nicht um Verzicht, sondern um Freiheit. Was bedeuten diese Worte heute? Und trotzdem frage ich mich immer wieder, wie Jesus heute auftreten würde. Würde er die Jünger mit Dienstwagen ausstatten, bevor er sie aussendet? Dieser Gedanke allerdings ist ungefähr so widersinnig wie der Gedanke, ob Jesus die Seligpreisungen in Social Media verbreiten würde.
Meine Erkenntnis: Gleiche das fehlende Materielle durch Gottvertrauen aus.
Ein faktor c-Interview mit einem der weltweit bekanntesten Motoren des Minimalismus, Joshua Becker, lesen Sie hier:
Dieser Artikel ist in der Zeitschrift faktor c Magazin, Ausgabe 1/24, erschienen